Gilcher-Holtey beginnt mit einer Momentaufnahme des ersten internationalen Vietnam-Kongresses an der Technischen Universität Berlin am 17./18. Februar 1968 - einem Schlüsselereignis der Unruhen der 60er Jahre, bei dem junge Menschen aus der ganzen Welt willkommen waren. Erst in den folgenden Kapiteln werden die Hintergründe und Anfänge dieser Ausschreitungen dem Leser nähergebracht. Das Werk zeichnet so den Weg vom Aufstand zum Widerstand, vom Protest zur Bewegung. Es berichtet über die Anfänge, die mit der Bildung der neuen Linken in den Ländern einherging. Es zeigt wie sich Studenten politisierten und mobilisierten, wie sie versuchten aus den vorherrschenden Mustern, Lehrmethoden und Lebensweisen auszubrechen. Es wurde alles in Frage gestellt und alles Bestehende verurteilt. Die Studenten begannen über den Tellerrand hinauszublicken und die internationale Politik in Frage zu stellen. Sie kritisierten unter anderem die Politik des Schahs von Persien, der trotz seiner Taten im eigenen Land als Ehrengast in Berlin willkommen geheißen wurde und sie verurteilten den Vietnamkrieg, der Abertausende von Zivilisten und Soldaten das Leben kostete.
Das Buch von Gilcher-Holtey blickt ebenfalls über die Grenzen Deutschlands hinaus und zeichnet ein chronologisch und regional geordnetes, internationales Bild. Es holt mit seinem Überblickscharakter das Versäumnis nach, die internationalen Unruhen mit in Betracht zu ziehen. Ausführlich werden die Ereignisse vom Frühjahr 1960 in Soho bis hin zu den Beschreibungen der Taten der RAF 1972 erzählt. Über ein Jahrzehnt, das noch heute nachhaltig unsere Gesellschaft und teilweise auch unseren Wortschatz prägt. Innerhalb der Entwicklungen der 60er Jahre stoßen zu der intellektuellen und politisierten Riege der Studenten die sogenannten Hippies und Beatniks. Gruppen, die zwar auf das gleiche Ziel zusteuerten, es aber mit anderen Mitteln durchzusetzen versuchten. Begriffe wie „Flower-Power“, „Sit-ins“ und Sprüche wie „Make love, not war“ werden in dieser Zeit geprägt.
Es ist ein Überblickswerk, welches allerdings in der Wortwahl nicht immer richtig greift. So ist stets bei Heranziehung eines Vergleichs zum Dritten Reich nur von „Auschwitz“ als Oberbegriff die Rede, was bekannterweise zwar einer der traurigen Höhepunkte des Holocaust darstellt, ihn aber nicht in seiner Gesamtheit beschreiben kann. Auch stilistisch ändert die Autorin ihren Ton innerhalb des Textes. Beschreibt sie zwar einerseits präzise Momentaufnahmen, wie den spontanen Protest gegen die Polizei, die einen Studenten im September 1964 in Berkeley auf dem Campus festnahm, erwähnt sie andere Ereignisse wie den Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 in Berlin nur am Rande. Auch wenn man diesem in der Geschichte der Studentenbewegung eine größere Rolle zusprach, schließlich gab dieses Ereignis der Protestwelle doch eine ganz neue Dynamik. So folgten den Ausschreitungen vom Juni 1967 die sogenannten Notstandsgesetze, die unter anderem Demonstrationen verboten und somit das Versammlungsrecht einschränkten. Ein Grund der Bewegung eine politische Richtung zu geben und dagegen aufzubegehren. Demonstrieren gegen das Demonstrationsgesetz.
Es ist ein Buch für jedermann. Für Zeitzeugen oder für deren Kinder und es ist ein Buch für Schüler und Studenten, die etwas mehr über vergangene junge Generationen erfahren wollen, die oft Verursacher großer Umbrüche waren. Jugendliche, die sich aktiv von ihrer Elterngeneration abzugrenzen versuchten, um sich selbst in der Welt zu definieren. Es behandelt ein Stück deutscher, aber auch internationaler Geschichte. Empfehlenswert für Leser, die wissen wollen, wo sexuelle Revolution und antiautoritäre Erziehung ihren Anfang hatten.
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