Montag, 11. Juni 2012

„Der Kokosnußapostel“ - Guter Geschmack am Rande des Wahnsinns


Skandal im Literaturbetrieb. Hoch gelobt und tief verdammt schlägt Christian Krachts neuer Roman „Imperium“ Wellen.

Ist es Humor? Darf es Humor sein? Ist es stilistische Distanz zur Gegenwart? Darf es das sein? Oder ist es rassistisch? Fragen, die sich der Leser des „Imperiums“ hin und wieder stellen mag, ohne sich einer Antwort sicher zu sein. Fragen, die nicht unbegründet gestellt werden. Doch worum geht es genau?

Zu Zeiten des tiefsten Kolonialismus sucht der „Vegetarier, Bartträger und Nudist“ August Engelhardt fliehend vor der Zivilisation seine Bestimmung in der Südsee. Dort will er eine Kokosnussplantage aufbauen und einen „Sonnenorden“ gründen, dessen Mitglieder, wie er selbst, sich nur von der Kokosnuss ernähren sollen, da diese die Krönung der Schöpfung, die einzige reine Pflanze sei und somit - das steht für Engelhardt außer Frage- göttlich sein muss. Nach dem Erwerb der Insel Kabakos, scheint sein Glück zum greifen nah, die freundlichen „Wilden“ arbeiten hart und verzichten darauf vor ihrem neuen „Herren“, der optisch mit Jesus verglichen wird, Fleisch zu essen und Tiere zu töten; sogar der ein oder andere Weggefährte findet sich unterwegs, wenn auch meist kurzzeitig. Doch das Blatt wendet sich und Engelhardt verfällt schleichend dem Wahnsinn. Was mit einem meditativen Daumenlutschen beginnt, entwickelt sich zu einer ausgewachsenen Psychose, die durch die fortschreitende Lepra noch unterstützt wird. Bis Engelhardt die Erkenntnis ereilt: Menschenfleisch ist die einzige reine Nahrungsquelle.

„Imperium“ spielt größtenteils zu Zeiten Kaiser Wilhelms II., an die sich Kracht stilistisch anscheinend anzupassen versucht. Durch die komplexen Satzstrukturen und den inflationären Gebrauch von Fremdwörtern, erinnert es jedoch an eine krampfhafte Bemühung Thomas Manns Werken nachzueifern. Leider wirkt sich das nicht zugunsten der durchaus interessanten Geschichte aus. Auch wenn der Autor versucht – zusätzlich durch den Gebrauch der alten Rechtschreibung – dieses Buch den Geist der Zeit atmen zu lassen, liefert dies keine Entschuldigung dafür, dass scheinbar objektiv ein Vokabular benutzt wird, welches im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert zwar gebräuchlich war, heute jedoch rassistisch gewertet wird. Von „barbusigen Negermädchen“, „Wilden“, die nur „Kauderwelsch“ sprechen und „Kanakenkindern“ ist die Rede, Wörter, die nur noch kursiv oder in Anführungsstrichen auftauchen sollten. Damit nicht genug, die auftretenden Figuren wirken karikiert und klischeebehaftet. So trifft Engelhardt auf Govindarajan, der optisch schon dadurch hervorsticht, dass seine Haut blauschwarz ist und die Haare aus seinen Ohren wie „Blumenkohlröschen“ hervorgucken. Zwar begegnen sich beide auf Augenhöhe, verbunden durch ihre auf Früchten basierende Ernährung, doch schon kurz darauf stellt sich Govindarajan als gemeiner Dieb und Betrüger heraus. 
Glücklicherweise verläuft sich diese rassistische Tendenz im Laufe der dreiteiligen Geschichte. Mit gutem Willen ist sie auf den historischen Stil zurückzuführen, dennoch wäre vielleicht ein vorwarnendes Vorwort oder ein erklärendes Nachwort des Autors wünschenswert gewesen, hierdurch wäre dem Leser ein Orientierungspunkt gegeben worden. Doch auch die Umschweife und komplex geschachtelten Gedankenexkursionen, die leider durchgängig auftreten, schränken das Lesevergnügen ein.

Wer also mit einer gewissen Distanz an dieses Werk herangeht, wird sich an der unglaublichen und wahnsinnigen Geschichte des teils historischen, teils fiktiven August Engelhardt erfreuen. Doch ob man wirklich den Kampf mit diesem Buch aufnehmen möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen